Es ist kompliziert. Das war die erste und wichtigste Erkenntnis nach unserer Ankunft in Havanna. Vergesst alles, was ihr von Kuba zu wissen glaubt. Kein Land, das wir bisher bereist haben – und ich darf behaupten, es sind schon einige – ist vergleichbar mit Kuba.
Das Zwei-Währungen-System mit dem Kubanischen Pesos für Einheimische und dem Pesos Convertible (1:1 mit dem Dollar) konnte uns keiner genauer erläutern. Die einzige Info, die wir dazu bekommen haben: Es ist kompliziert. Nicht weniger kompliziert ist es mit den Fortbewegungsmitteln. Nicht, dass es keine gäbe. Es war nur nicht so ganz klar, welche wir nutzen durften. Zwei getrennte Bussysteme erschlossen sich uns noch, aber weshalb die Fahrradtaxi-Fahrer immer die Straßen mieden, wo die Polizei steht, wenn sie uns durch die Gegend fuhren, haben wir nicht durchschaut.
Doch dann hat Sam aller Trennung von Touristen und Einheimischen zum Trotz eine lokale Kneipe aufgesucht, um ein Bier zu trinken. Und da traf er Harry, den Kubaner, der eigentlich Hieronimos heißt und der ihm freudestrahlend erzählte, dass er von 1980-84 in der DDR als Gastarbeiter war. In der Nähe von Magdeburg. Genauer gesagt, in Stendal. Da wurden aus einem schnellen Bier dann doch ein paar mehr. Und er musste versprechen, wiederzukommen. Gut, dass wir noch deutsche Schokolade dabeihatten.
Wie er Kuba fände, fragten die anderen Kubaner. Gut, so Sams vorsichtig-diplomatische Antwort. Soso, antworteten sie. Kuba ist nicht gut, nur soso.
Aber die Playas (Strände), so Sam, die wären doch schön. Ja, die Playas, antworteten sie, die sind schön!
Wir haben eine Internetkarte für 3 cuc (etwa 2,60€) bei einem Typen auf der Straße gekauft und konnten damit für eine Stunde ins öffentliche WLAN. Und öffentlich heißt dabei wirklich öffentlich – die Internet-Hotspots sind allesamt auf öffentlichen Plätzen, wo sich dann halb Kuba zum skypen und Mails schreiben versammelt. Die Eigenarten dieses Landes haben mich in den ersten Tagen ziemlich überrollt. Kein Reiseführer und kein Internetforum konnten uns darauf vorbereiten, was uns wirklich hier erwartet. Kuba, das ist Individualtourismus für Fortgeschrittene, quasi 2.0 – eine Herausforderung. Wir brauchten einen halben Tag, um uns klar zu werden, ob wir die Herausforderung annehmen oder alle bisherigen Buchungen über Bord werfen und uns im nächsten All-inclusiv-Hotel einmieten wollten.
Von Havanna wollten wir mit dem Bus weiter nach Westen reisen. Doch die Bustickets waren schon am Tag vorher ausverkauft. Zugtickets muss man zwei Wochen im Voraus buchen, ebenso Mietwagen. Und ob man dann am gewünschten Datum tatsächlich auch ein Auto zur Verfügung gestellt bekommt, das weiß keiner. Uns blieb nur die bis dahin unbekannte Reiseart des „taxi collectivo“. Ein Auto, vollgepackt bis unter’s Dach mit Leuten, die in die gleiche Richtung möchten. Man wurde an der Unterkunft abgeholt und vor der Tür der Nächsten abgesetzt, das war schon eine gute Sache. Von der Qualität des Fahrzeugs weiß man vorher nichts. Möglicherweise bekommt man ein modernes Auto mit Klimaanlage und Airbags, vielleicht aber auch einen rostigen Karren auf vier Rädern, in dem man mitsamt Gepäck auf einer schmalen Bank im Kofferraum sitzt. Wir bekamen letzteres.
Wir bewegen uns gern im Laufe einer Reise auf den wenig ausgetretenen Pfaden. In Vinales (ein Dorf mit 1200 Privatunterkünften, ca. 5000 Gästebetten) war das schlicht nicht möglich. Wären da nicht Bill und Carolin gewesen. Ein englisch-amerikanisches Paar aus Mexiko im Rentenalter, die mit uns eine Casa teilten. Sie waren mit ihrem Mietwagen auf eigene Faust durch den Nationalpark gefahren und hatten dabei das Sackgassendorf Ancón entdeckt. Da, wo sich am Tag gerade mal zwei bis drei Autos hin verirrten stand am Ende der Straße ein Guide mit einem Schild und versuchte, Leute für seine Touren durch den Dschungel zu gewinnen. Nachdem sie die Tour getestet und für ausgezeichnet befunden hatten, setzten sie uns am nächsten Tag dort ab, irgendwo im Nirgendwo. Der Guide konnte kein Englisch und unser Spanisch – nun ja, pocito.
Er führte uns in eine Höhle, erhellt nur von unseren Taschenlampen und bewohnt von hunderten Fledermäusen und großen Eidechsen. Auf und ab ging es durch den Dschungel, tief hinein bis zu einem kleinen Wasserfall mit einem natürlichen Pool zum Baden. Da tummelten sich auch einige „cerdio grande“, große Schweine, die tagsüber sich die Bäuche mit Eicheln voll schlagen und nachmittags auf den Ruf der Besitzer in die umliegenden Dörfer zurückkehren. Auf der ganzen dreistündigen Tour sind uns gerade mal zwei weitere Reisende begegnet.
Die Preise in Kuba gleichen denen in Deutschland – zumindest für Touristen. Das liegt am System der zwei Währungen. Wir sind für 20cuc pro Person (18€ p.P.) mit einem taxi collectivo älteren Baujahrs (russischer Jeep mit Zweitaktmotor, fehlenden Scheiben, ohne Stoßdämpfer dafür aber mit aufgeklebtem Peugot-Zeichen) zu einem ziemlich einsamen Strand gefahren. Neun Plätze, neun Leute – und auf den letzten zehn Kilometern noch ein Kubaner hinten auf der Stoßstange.
In kubanische Verhältnisse übertragen war das, was wir gemacht haben, ungefähr so: Ein Touristenpaar nimmt sich in Deutschland ein Taxi von Berlin an die Ostsee für 1000€ pro Person, um dort im Dezember zu baden (ein kubanischer Monatslohn liegt bei ca. 20cuc). Schon verrückt…
Auf unserer Weiterreise Richtung Trinidad rumpelten wir in einem alten Lada die Serpentinen in die Berge hinauf, während kontinuierlich Abgase durch ein Loch unter der Handbremse in den Innenraum des Fahrzeugs strömten. Derweil schallte “The final Countdown” vom USB-Stick des Fahrers aus den Boxen. Da die offenen Fenster die fehlende Klimaanlage ersetzten, war alles gut. Soweit.
Die Gegend um Trinidad ist touristisch gesehen die lohnenswerteste in ganz Kuba. Dort hat man alles beisammen: Strand an türkisblauem Meer und mit den “Gärten der Königin” einen der schönsten Tauch- bzw. Schnorchelspots der Welt, den Nationalpark “Topes de Collantes” mit Bergen, Schluchten und zahlreichen Wasserfällen sowie die UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt Trinidad.
Quasi über Nacht veränderte das Land der Salsa sein Gesicht. Am 25. November starb Fidel Castro mit 90 Jahren in Havanna. Der Mann, den sie trotz Machtübergabe an seinen Bruder Raul noch immer „el presidente“ nannten, hinterließ ein Land, das den Atem anhält. Für neun Tage schwieg in ganz Kuba die Musik, es wurde nicht getanzt und keine Feste gefeiert. Kein Alkohol in den Läden verkauft. Drei Tage konnten alle von Fidel Castro Abschied nehmen, bevor er nach Santiago de Cuba überführt wurde – auf dem gleichen Weg, wie die Revolution einst nach Havanna kam. Was wir erlebten während unserer Reise, war ein Moment Weltgeschichte – mit offenem Ausgang.