Autorin Stefanie Kloft

Hochsensibilität – angeboren oder erworben?

Es gibt diese eine Frage, die Wissenschaftler wie hochsensible Personen und deren Umfeld umtreibt wie kaum eine zweite – ist das Phänomen Hochsensibilität ein angeborenes oder ein erworbenes?  An mich wurde diese Frage auch schon herangetragen und ich sage gleich zu Beginn: Es gibt keine abschließende Antwort dazu. Auch von mir nicht. Die Forschungen namhafter Wissenschaftler, wie E. Aaron und P. Pawlow, die sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben, sprechen für eine Vererbung, aber wie gesagt…
Mich interessiert daran nämlich noch eine andere Frage: Was habe ich von der Antwort? Beziehungsweise warum suche ich (also ich eigentlich nicht, aber viele andere) nach dieser Antwort? Nehmen wir mal an, ich als hochsensible Person würde fest davon ausgehen, dass meine Andersartigkeit erworben ist, dann würde es doch bedeuten, dass ich mit genügend Anstrengung, Coaching, Therapie, was auch immer, diese Andersartigkeit wegmachen kann. Wenn sie nun aber angeboren ist und ich mich trotz aller Bemühungen nicht verändere, wäre das nicht nur frustrierend, sondern auch gefährlich für mein Selbstbewusstsein, oder? Natürlich kann man diese Frage auch umdrehen und zu dem Schluss kommen, dass eine vermeintlich hochsensible Person sich nur etwas anstrengen und ihre Angewohnheiten ablegen müsste, um normal zu sein. Hin oder her – beide Male wird Hochsensibilität dargestellt wie ein Fehler. So sein ist nicht richtig. Dabei gibt es kein falsch und richtig. Davon bin ich überzeugt.

Ich persönlich tendiere bei dieser Frage auch eher in Richtung Vererbung. Nicht, um es mir leicht zu machen, sondern weil die bisherigen Forschungen zum Thema Hochsensibilität diese Sprache sprechen. Denn Hochsensibilität ist grundsätzlich erst mal ein Übersetzungsfehler – korrekt heißt es Hochsensitivität – high sensitive. Sensitivität bezieht sich auf die Arbeitsweise unseres Nervensystems; die Intensität mit der ich Geräusch, Gerüche, Temperaturen (also Sinnesreize) und eben auch Emotionen und Schmerz wahrnehme ist abhängig von der Konstitution der neuronalen Systeme, die diese Reize verarbeiten. Und diese Konstitution ist zumindest teilweise erblich bedingt.
Denn nicht zu verachten ist Wechselwirkung von Hochsensibilität per se und widrigen Lebensumständen, Erlebnissen und Erfahrungen, die von unserem Nervensystem intensiver wahrgenommen und länger verarbeitet werden müssen. Gerade aufgrund dieser erhöhten Wahrnehmung hinterlassen negative Erfahrungen tiefere Spuren und führen letztendlich dazu, dass die Hochsensibilität zu einer Last wird, die man loswerden möchte.

Bei der Frage nach angeboren vs. erworben würde ich sogar noch einen Schritt weiter gehen. Vorher sei aber ausdrücklich gesagt – ich habe nur Sozialwissenschaften studiert und meine Meinung und Erfahrung ersetzt nicht die Fachlichkeit eines Psychologen!
Mir ist aufgefallen, dass sich die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung teilweise ähneln mit den Merkmalen von Hochsensibilität: u.a. vegetative Überregbarkeit, erhöhte psychische Sensitivität, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit – bei teilweiser oder vollständiger Unfähigkeit, sich an wichtige Aspekte des belastenden Erlebnisses zu erinnern. Und dazu kommt noch das in der aktuellen Forschung oft aufgegriffene Thema der „sekundären/vererbten Traumata“, bei der betroffene Personen tatsächlich traumatisiert werden können durch Erlebnisse, die sie „nur“ aus Erzählungen kennen oder bei denen sie unbeteiligte Beobachter waren. (Wer mehr zu diesem Thema wissen möchte, kann gern in meine Literaturliste schauen.)
Damit wir uns nicht falsch verstehen: nicht jede hochsensible Person hat eine posttraumatische Belastungsstörung und nicht jeder Betroffene einer posttraumatischen Belastungsstörung ist automatisch hochsensibel!
Was ich damit ausdrücken möchte – nicht immer, wenn die Seele leidet oder das Leben einem über den Kopf wächst ist Hochsensibilität die Antwort. Die Antwort ist vielschichtiger; Hochsensibilität kann belastende Erlebnisse verstärken und Belastungssituationen können den Umgang mit der eigenen Hochsensibilität arg erschweren. Bei alldem möchte ich aber eines noch mal betonen: Hochsensibilität ist ein wertvoller Wesenszug und unsere Gesellschaft braucht Menschen mit feinen Antennen. Deshalb – egal wie deine persönliche Antwort auf die Frage erworben oder vererbt ausfällt – es gibt kein richtig und falsch, nur richtig und richtig. Und du bist richtig!

Was denkst du persönlich? Angeboren oder erworben?

Bleib dir treu!
Deine Stefanie

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Ein Kommentar

  1. Mit Freude las ich heute den neuen Beitrag (und das Foto dazu). Genau diese Fragen bewegen mich schon länger und ich bin dankbar, über diese Themen hier lesen und sich austauschen zu können. Und hoffentlich noch weiter.
    Was ich persönlich denke? Nicht “oder”, sondern u n d.
    Susi

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