Gestern Abend saß ich am Computer und habe Artikel gelesen, einen nach dem anderen. Interessante Artikel, aber sie handelten nicht unbedingt von positiven Themen und eitel Sonnenschein. Es ging um Menschen, die an internationalen Flughäfen gestrandet sind, weil sie vor dem Kriegsdienst in ihrem Heimatland flohen. Oder um Menschen, die zu tausenden im Mittelmeer ertrinken, weil sie sich ein besseres Leben erhoffen. Um menschengemachte Umweltkatastrophen. Um Meeressäuger, die mit kiloweise Plastikmüll im Magen qualvoll verhungern.
Irgendwann habe ich den Computer heruntergefahren, denn ich bin als hochsensible Person anfällig für solche Themen. Anfällig für Weltschmerz.
Manchmal ist er übermächtig, weltumspannend und betrifft die ganz großen Themen unserer Erde. Manchmal ist er klein (aber deswegen nicht weniger intensiv) und wird ausgelöst von den schweren Ereignissen vor der eigenen Haustür. Dann sitze ich beim Frühstück und mache mir Gedanken über Freunde, die einen lieben Menschen an eine schwere Krankheit verloren haben. Oder über die Familie, deren Kinder bei der Zwangsräumung ihrer Wohnung nichts weiter mitnehmen konnten als eine Reisetasche voll Erinnerungen.
Weltschmerz ist ein spezieller Begriff für Mitleid, tief empfundenes mit-leiden hochsensibler Menschen mit den Verzweifelten und Ausgestoßenen unserer Gesellschaft oder dieser Erde, mit der unterdrückten Tierwelt oder der ausgebeuteten Natur. Es ist kein „billiges“ Mitleid, das einen Tränen-Smiley bei Whatsapp verschickt (umgekehrt bedeutete das nicht, dass jeder Tränen-Smiley billiges Mitleid ist), sondern ein ehrliches Mitfühlen, das regelrecht krank machen kann. Und genau darum ist für hochsensible Menschen Vorsicht geboten.
Vor einigen Jahren meldete mir ein guter Bekannter zurück, dass ich mir eine eigenartige Sache angewöhnt habe. Bei Gesprächen mit anderen, wo ich von ihren Problemen hörte, antwortete ich oft: „Da kann ich dir leider nicht helfen.“ Mir war das gar nicht aufgefallen. Aber mein Bekannter meinte, ich müsste das nicht sagen, denn die Leute hätten mich doch gar nicht um Hilfe gebeten. Als empathisch Hochsensibler beantwortete ich einen nicht ausgesprochenen Hilferuf (und manchmal war auch überhaupt keiner da), obwohl es nicht meine Verantwortung war, mich darum zu kümmern.
Überhaupt ist Verantwortung und falsche Verantwortungsübernahme ein großes Problem für mich und sicher auch für andere Hochsensible. Zum einen kommt es vor, dass wir den Bedarf an Hilfe intensiver wahrnehmen und gern helfen möchten, zum anderen kann es sein, dass eine hochsensible Person durch ihre Empathie zu einem gern gesehenen Helfer im Freundes- und Bekanntenkreis gemacht wird.
Abgrenzung lernen ist essentiell für einen empathisch Hochsensiblen. Das hat nichts mit Desinteresse und Ignoranz zu tun, sondern mit Selbstschutz. Wenn ich mir alle Probleme dieser Welt, selbst meines direkten Umfeldes, aufbürden wöllte, ich wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt. Abgrenzung von bestimmten Themen und Gesprächen ist wichtig, damit ich meine Energie fokussieren kann. Die Herausforderungen, in die ich positiv investieren kann, muss ich herausfiltern aus der Flut der Not und mich dann darauf konzentrieren. Um ein, zwei Sachen gut und richtig machen zu können, muss ich den großen Rest beiseitelassen.
Sowieso darf ich mir als Hochsensibler auch eine gesunde Egal-Haltung aneignen. Wenn ich zum Beispiel im Alltag sehr intensiv in Menschen mit vielfältigen Herausforderungen investiere und dann dringend mal eine Auszeit brauche, muss ich mir nicht auch noch den Kopf darüber zerbrechen, welchen CO²-Fußabdruck mein Urlaubsflug hinterlässt. Ich kann mich dem Thema auch gern annehmen, aber ich muss nicht. Dieser Stopp im Kopf hilft mir, meine Energie zu kanalisieren. Es kann auch sein, dass ich mir damit sage: „jetzt nicht“ und nicht „gar nicht.“
Wenn ich mit anderen Menschen, seien es Hochsensible oder Normalsensible, über Weltschmerz-Erfahrungen rede, gibt es oft eine typische Antwort: „Aber du kannst doch die Welt nicht retten.“ Das ist nicht gerade befriedigend. Ich habe über diesen Satz nachgedacht und mir ist aufgefallen, dass für mich nur ein Wort die ganze Bedeutung des Satzes verändern würde.
1. „Du kannst doch nicht die Welt retten.“
Ja, das weiß ich. Das ist mir fast täglich schmerzlich bewusst. Aber ich möchte doch so gern helfen. Vielleicht kann ich es ja, wenn ich mich etwas mehr anstrenge …?
2. „Du musst doch nicht die Welt retten.“
Ich darf mich rausnehmen, Dinge geschehen lassen, die ich nicht ändern kann. Und (mit Betonung auf du) ich bin nicht die Einzige, die die Not sieht. Da sind noch andere Menschen, mit mehr Energie oder neuen Ideen. Wenn ich die Verantwortung an mich reiße, kommen die anderen möglicherweise gar nicht zum Zuge. Und ich als Christ kann mir – mit Blick in die Zukunft – sagen: Jesus hat die Welt schon gerettet!
An meinem Kühlschrank hängt eine Karte mit folgendem Spruch:
Menschen, die leiden, gehen uns alle an. Und wenn wir alle handeln, dann gibt es Hoffnung.
Das ist für mich der Kern vom Umgang mit meinem Weltschmerz. Ja, es ist richtig und gut, dass ich Leid und Unrecht, das passiert, nicht einfach stehen lasse und weitermache wie bisher. Aber ich bin in den allermeisten Fällen auch nicht die Einzige, die helfen kann. Oft kann ich allein nämlich gar nichts ausrichten und würde gegen Windmühlenflügel kämpfen.
Ich möchte mich auf das fokussieren, was ich ändern und wo ich einen positiven Unterschied machen kann. Für andere Dinge darf ich mir Helfer ins Boot holen. Und einiges darf ich beiseitelassen.
Denn wir müssen die Welt nicht retten – Gott sei Dank!
Kennst du diese Phasen von Weltschmerz? Wie gehst du damit um?
Bleib dir treu!
Deine Stefanie